• - Bild: Anemone Rüger, Christen an der Seite Israels
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Winterreise in die Ukraine oder: Das Wunder von Chanukkah

Anemone Rüger - 5. Januar 2018

Wer will schon im Dezember in die Ukraine fahren, fragte ich mich, während ich kurz vor Weihnachten wieder für Kiew packte. Meine Wettersorgen waren nicht ganz unberechtigt, und doch liessen sich elf west-europäische Teilnehmer nicht davon abhalten, für die letzte Arbeitsreise dieses Jahr in den Osten zu reisen, um ukrainischen Juden zu helfen und zu verstehen, was sie durchgemacht haben.

Eine Gruppe von Christen an der Seite Israels trifft Rabbi Pinchas Wischnezky in Kiew, der 21 Jahre lang die jüdische Gemeinde von Donezk leitete, bis er mit Kriegsausbruch 2014 mit seiner Gemeinde fliehen musste. CadSI hilft den Flüchtlingen mit Lebensmittelpaketen. 150 Pakete wurden als Chanukkah-Geschenk ausgeliefert.

Sogar ein Israeli machte sich auf den Weg bei Wind, Regen und Schnee, um später festzustellen, dass der früher tschechische Ort Chust, der Geburtsort seiner Mutter, die Auschwitz überlebt hat, heute in der Westukraine liegt. Damit waren intensive und emotionale Momente vorprogrammiert. Nach der Konfrontation mit den dunkelsten Stunden des Landes in Babi Yar, einer Schlucht, wo im September 1941 innerhalb von zwei Tagen Kiews jüdische Bevölkerung erschossen wurde, lernte die Gruppe Rabbi Pinchas Wischnetzky kennen, der 21 Jahre lang die jüdische Gemeinde von Donezk leitete, bis er mit Kriegsausbruch 2014 mit seiner Gemeinde fliehen musste – nur mit dem, was jeder tragen konnte. Viele sind inzwischen nach Israel gegangen; andere warten in Kiew ab, ob sich die Lage wieder bessert, und sind zwischenzeitlich auf Hilfe angewiesen. Eine Woche nach der Begegnung konnte Christen an der Seite Israles (englischer Namen: Christians for Israel) rechtzeitig zu Chanukkah 150 Lebensmittelpakete an die geflüchteten Familien verteilen. Während die Reiseteilnehmer in Bila Zerkwa den Teenagern Kiryll, Sascha und Xenia zuhörten, die mit einem Jugendprogramm nach Israel gehen werden, begann es zu schneien. Bis wir unser Fahrtziel in Winniza erreicht hatten, war die Ukraine in eine dicke, weiche Schneedecke eingehüllt. Trotzdem merkten die Teilnehmer, dass man auch im Winter die Jacke schnell auszieht, wenn man sich an die Arbeit macht, in der Lagerhalle der grössten Baptistengemeinde von Winniza 2000 Lebensmittelpakete zu packen. Im weiteren Verlauf der Woche teilte sich die Gruppe auf, um die 10-Kilo-Tüten in den jüdischen Gemeinden der Zentralukraine bis zur moldawischen Grenze zu verteilen. Rita Schweybusch, 82, hält die kleine jüdische Gemeinschaft von Tultschin immer noch zusammen. Während Freiwillige die kostbare Fracht aus dem Minibus ausladen, geht sie die Liste der Empfänger durch, um sicherzustellen, dass die Hilfe die Bedürftigsten erreicht. Darüberhinaus erzählt Rita jeder Gruppe, die in die Ukraine kommt, ihre eigene Überlebensgeschichte, angefangen von dem Tag, als sie als Fünfjährige von ihrem Zuhause weggerissen und mit den Tultschiner Juden auf einen 40 Kilometer langen Fussmarsch in das Todeslager Petschora getrieben wurde, bis zum Tag der Befreiung, den sie als einzige von ihrer Familie erlebte. Im Lager hatte sie Gott ein Versprechen gegeben: „Wenn ich hier lebend herauskomme, werde ich der Welt meine Geschichte erzählen.“ Und wie schwer es auch sein mag, die schrecklichen Erinnerungen hervorzuholen – Rita bleibt ihrem Versprechen treu.

Eine holländisch-deutsch-israelische Gruppe packt 2000 Lebensmittelpakete in der Lagerhalle der Baptistengemeinde von Winniza zusammen mit ukranischen Helfern.

Chanukkah ist nach jüdischer Überlieferung eine Zeit der Wunder, seit das heilige Öl im Tempel von Jerusalem übernatürlich reichte, bis neues Öl hergestellt werden konnte, nachdem die Stadt von der griechischen Besatzung befreit und der Tempel wieder neu geweiht worden war. Und hier, im Wald von Petschora, der über den Massengräbern mit Tausenden von Holocaustopfern gewachsen ist, zündeten Juden und Heiden die erste Chanukkah-Kerze an und sandten damit eine Botschaft in die Welt: Am Israel chai – Israel lebt! Jedes Mal, wenn Liebe ein jüdisches Herz berührt, passiert ein Wunder, sei es durch ein Lebensmittelpaket, durch eine Umarmung oder ein tröstendes Wort. Vielen im jüdischen Publikum in Mogilow-Podolski wurden die Augen feucht, als eine Mitreisende ihre Familiengeschichte erzählte – vom Vater, der in der Ukraine geboren wurde, als Deutscher unter Stalin nach Kasachstan deportiert wurde, in den 90ern mit der Familie nach Deutschland auswanderte… bis seine Familie Jahre nach seinem Tod herausfand, das er Jude war. Das Chanukkah-Wunder eines wiedergefundenen Familienerbes.   Eine Frau aus der Reisegruppe sang das wunderschöne Lied „Jerusalem, du Stadt von Gold“ bei jedem Besuch, den wir in jüdischen Häusern und Gemeinden machten. Was niemand wusste, war, dass sie vor zehn Jahren aufgehört hatte zu singen. Aber etwas passierte auf diesem ukrainischen Boden, und während sie ihr Herz für die Holocaustüberlebenden öffnete, kam ihre Gabe des Gesangs zurück, die jeden berührte, der ihr zuhörte. Jede Gruppe, die in die Ukraine kommt, hat solche Geschichten zu erzählen. Wir kommen, um dem jüdischen Volk etwas Gutes zu tun, und bevor wir’s uns versehen, tut Gott etwas in unserem eigenen Leben. Er ist gut im Multi-Tasking.

Mitglieder der jüdischen Gemeinde von Mogilow-Podolski lauschen den Worten der Ermutigung von einer Christen an der Seite Israels-Reisegruppe, bevor die Lebensmittelpakete ausgeladen werden. Die Bilder an der Wand links stellen einen Teil der unter dem Naziregime ermordeten Juden des Ortes dar.

Wie können Sie helfen?

Es besteht die Möglichkeit, mit einer Einzelspende eine Anzahl von Lebensmittelpaketen zu finanzieren, die von unserem Team vor Ort gepackt und regelmässig über die jüdischen Gemeinden an Bedürftige ausgeliefert werden; ein Paket kostet CHF 11. Diesen Winter werden 8.000 bedruckte Tüten mit Lebensmitteln gefüllt um Freude in ein jüdisches Herz zu bringen. Mit einem Beitrag von monatlich CHF 30 können Sie einem Holocaustüberlebenden in der Ukraine helfen, über die Runden zu kommen. Unsere Mitarbeiter und Partner vor Ort kümmern sich darum, dass die Bedürftigen mit Lebensmitteln, Medikamenten und/oder Heizmaterial versorgt werden. Weitere Informationen finden Sie hier.

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