505 Tage in der Hölle der Hamas: Ein Treffen mit Tal Shoham
Der österreichisch-israelische Doppelstaatsbürger Tal Shoham verbrachte 505 Tage in der Hand der Hamas. Sechs Wochen nach seiner Freilassung aus der Geiselhaft, am 3. April 2025, wurde Tal mit seiner Frau und den beiden Kindern bei einem emotionalen Empfang in der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien willkommen geheißen. Bewegend schilderte er seine 505 Tage dauernde Gefangenschaft in den Tunneln Gazas, sprach von der quälenden Ungewissheit über das Schicksal seiner Familie in dieser Zeit und betonte sein Engagement für die Befreiung seiner beiden „Brüder“ Guy Gilboa-Dalal und Eviatar David, die er zurücklassen musste.
„Es war ein friedlicher Tag“, berichtete Tal Shoham über den 6. Oktober 2023. Tags zuvor war er mit seiner Frau Adi und den beiden Kindern Naveh (8) und Yula (4) in den Kibbuz Be’eri zu seinen Schwiegereltern gefahren, um gemeinsam Sukkot (das Laubhüttenfest) zu feiern. Nach einem festlichen Mahl im Speisesaal des Kibbuz saß man noch in der Sukka (Laubhütte) der Eltern seiner Frau beisammen, trank Wein, genoss „die kostbaren Momente mit der Familie“. „Nichts hat uns auf die Hölle vorbereitet, die sich nur Stunden, nachdem wir friedlich in der Sukka gesessen und gelacht hatten, auftun würde.“
Am nächsten Morgen, es war Samstag, der 7. Oktober 2023, gab es einen Raketenalarm nach dem anderen. Über WhatsApp wurde die Familie dann informiert, dass Terroristen in den Kibbuz eingedrungen waren. Sie schlossen sich im Schutzraum ein: drei Frauen, drei Kinder, zwei Männer. Als die Terroristen sich daran machten, die Tür des Schutztraums zu sprengen, habe sich sein Sohn, damals acht Jahre alt, hinter ihm versteckt und ihn gefragt:
„Aba (Pappa), werden wir sterben?“ „Ich antwortete wahrheitsgemäß, weil ich nicht wollte, dass das Letzte, was mein Sohn von mir hören würde, eine Lüge war“, erzählte Tal Shoham. Ich sagte: „Ich weiß es nicht.“
Naveh habe zu weinen begonnen. Danach hätten die Terroristen sie bereits getrennt. „Während der ganzen 505 Tage in Gefangenschaft betete ich, dass dieser Satz nicht das Letzte war, was mein Sohn je von mir hören würde.“
Als die Terroristen ihn aus dem Haus hinauszerrten, sah er nicht nur dutzende Hamas-Täter, sondern auch mehrere Leichen auf der Straße. Sie seien kaltblütig ermordet worden. 50 Tage wurde Tal Shoham dann in Gaza in Isolationshaft gehalten. Er wusste nicht, ob seine Familie ebenso ermordet worden oder noch am Leben war. Nach allem, was er gesehen hatte, vermutete er das Schlimmste. „Ich trauerte um sie, um jeden einzeln, und verabschiedete mich von ihnen.“
Am 50. Tag geschah ein Wunder. An diesem Tag habe ihm einer der Terroristen einen Brief seiner Frau Adi gebracht, aus dem er erfuhr, dass auch sie und die Kinder entführt worden waren, aber in Kürze freigelassen würden. Adi, Naveh und Yula kamen im Rahmen des ersten Geisel-Deals zwischen Israel und der Hamas Ende November 2023 frei.
„Das war das erste Mal, das ich mir erlaubte zu weinen“, so Shoham. Nun habe er aber auch gewusst, „dass ich jetzt den Kampf um mein eigenes Leben führen konnte“. Nach 50 Tagen Einzelhaft wurde er gemeinsam mit Guy Gilboa-Dalal (24) und Eviatar David (25), die gemeinsam entführt worden waren und Sandkastenfreunde sind, 20 Meter unter der Erde eingesperrt. Fortan teilten sie jeden Krümel, und auch wenn es an manchen Tagen nur eine Pita oder eine Tasse Reis zu essen gegeben habe, sei diese auf das Gramm genau zwischen ihnen geteilt worden. Sadistische Wärter hätten sie die ganze Zeit über psychisch und physisch gequält, der Vitaminmangel habe zeitweise zu einem völligen Verlust der Muskelkraft und Entzündungen geführt, „eineinhalb Monate lagen wir völlig bewegungsunfähig da“. Die Dunkelheit war erdrückend. Die Feuchtigkeit habe dazu geführt, dass die Kleidung immer nass gewesen sei. In dem Raum habe es ein Loch als Toilette gegeben. Weiter nichts. Die Terroristen haben nebenan in einem gut beleuchteten, klimatisiertem Raum gesessen und hatten immer reichlich zu essen, welches sie gerne vorführten.
„Nicht einmal Tiere würde man so halten, wie man uns behandelte“, sagte Shoham. Er verlor 30 Kilogramm Körpergewicht.
„Ich wurde gerettet. Ich wurde befreit und kann meine Frau und meine Kinder wieder in die Arme schließen.“ Doch seine Freunde – Guy Gilboa-Dalal und Eviatar David – seien immer noch in den Tunneln und würden um ihr Leben kämpfen. Tal kämpft für ihre Freilassung und wird erst ruhen, wenn sie auch frei sind.
Hamas
In Richtung Politik betonte Shoham, dass man verstehen müsse, mit wem man es bei der Hamas zu tun habe. „Die Hamas ist eine Terrororganisation, die sich von dem Glauben leiten lässt, dass Juden kein Recht auf das Land Israel haben – ein Glaube, der sie zu Mord, Vergewaltigung und Brandstiftung getrieben hat.“ Die gefährlichste Waffe der Hamas seien nicht ihre Raketen und auch nicht ihre Grausamkeit. „Es ist die fundamentalistische Erziehung, mit der sie die nächste Generation von Terroristen heranzieht.“ „Waffen könne man wegnehmen, aber fanatische Überzeugungen bleiben ein Leben lang bestehen.“ Diese Erziehung lehne die Möglichkeit eines Staates oder eines Volkes ab, der oder das nicht von einem extremen islamischen Gesetz regiert werde. „Es gibt immer nur eine akzeptable Realität: Der fundamentalistische Islam kontrolliert den gesamten Nahen Osten.“
Im Wertesystem der Hamas habe das menschliche Leben zudem keinen Wert, „weder das israelische noch das palästinensische Leben“.
Unter der Erde in den Tunneln der Hamas sei ihm auch klar geworden, dass die Zivilisten in Gaza ebenfalls Gefangene seien, „entweder von der Hamas selbst oder von dem Fanatismus, mit dem sie aufgewachsen sind“. Das Beste, was auch den Menschen in Gaza passieren könne, sei daher „die Befreiung von der schrecklichen Herrschaft der Hamas“. Die internationale Staatengemeinschaft müsse alles ablehnen, was dem Terrorismus Vorschub leiste. „Es gibt kein Szenario, in dem Terrorismus legitim ist. Es gibt keine Entschuldigung dafür, was am 7. Oktober passiert ist.“ Die Hamas habe die Grundwerte der internationalen Gemeinschaft in Frage gestellt, das seien die Werte, auf denen die Vereinten Nationen einst gegründet worden seien, „ich bin mir nicht sicher, ob sich die UNO heute darüber im Klaren ist“.
Trotz allem war es Shoham an diesem Abend sichtlich wichtig, zu betonen, dass es immer auch Hoffnung gebe. „Die Hoffnung hat mich wieder mit meiner Familie zusammengebracht.“ Und als er in der Dunkelheit in Gaza gesessen sei, habe er nicht gewusst, wie viele Menschen sich für ihn – auch in Österreich – eingesetzt hätten. Und wie viele Menschen für alle Geiseln aufgestanden seien. Dafür wolle er danke sagen.

Organisationen und Menschen, die sich besonders für die Geiseln eingesetzt haben, bekamen von Tal einen persönlichen Brief. So auch Christen an der Seite Israels in Österreich. Tal übergab ihn der Vorsitzenden, Marie-Louise Weissenböck | Foto: MLW
Den größten Dank zollte Tal Shoham der österreichischen Regierung und besonders Ex-Bundeskanzler Karl Nehammer, dem früheren Außenminister und Kanzler Alexander Schallenberg sowie dem Diplomaten Peter Launsky-Tieffenthal für ihren enormen Einsatz, der letztlich zu seiner Freilassung geführt hatte.