San Remo 100

Die Pariser Friedenskonferenz von 1919 – 100 Jahre San Remo (Teil 2)

Hugh Kitson - 3. September 2020

Am 31. Oktober 1918 – genau ein Jahr nach dem Sieg der Alliierten in Be’er Scheva und der Sitzung des Kriegskabinetts, in der die Balfour-Deklaration beschlossen wurde – kapitulierten die osmanischen Türken und der Erste Weltkrieg ging an der Ostfront zu Ende. Am 11. November 1918 um 11 Uhr Vormittag verstummten auch die Geschütze an der Westfront und der Krieg war zu Ende.

 

Der Krieg, um alle Kriege zu beenden

Das Blutvergießen der vergangenen vier Jahre war beispiellos gewesen. Viele hofften, dass der Große Krieg, wie er damals genannt wurde, ‘der Krieg sein würde, der alle Kriege beendet‘. Um dieses Ziel zu erreichen, beriefen die Alliierten Siegermächte eine Friedenskonferenz in Paris ein, die Anfang 1919 begann und auf der eine Reihe von Verträgen unterzeichnet wurde, darunter der Vertrag von Versailles und der Vertrag von Sèvres.

Im Vorfeld der Pariser Friedenskonferenz traf der Leiter der zionistischen Organisation, Chaim Weizmann (der später, 1948, der erste Präsident des Staates Israel werden sollte), mit dem anerkannten Führer der arabischen Welt, Emir Feisal, Sohn von Hussein, Scharif von Mekka, zusammen. Sie kamen zu einer Übereinkunft, die seither – vielleicht absichtlich – praktisch aus den Annalen der Geschichte gestrichen worden ist.

Das McMahon-Hussein-‘Abkommen‘

In den Jahren vor der Balfour-Deklaration gab es zwei vermeintliche Abkommen, die häufig von Gegnern des Konzepts einer Jüdischen Nationalen Heimstätte in Palästina verwendet werden.  Das erste ist als das ‘McMahon-Hussein-Abkommen‘ von 1915 bekannt. Sir Henry McMahon war zu dieser Zeit der britische Hochkommissar in Ägypten, und er führte einen Briefwechsel mit Feisals Vater, Scharif Hussein, um einen allgemeinen arabischen Aufstand gegen die osmanischen Türken herbeizuführen. Im Gegenzug soll McMahon den Arabern die Unabhängigkeit versprochen haben.  Der von T. E. Lawrence (Lawrence von Arabien) angeführte arabische Aufstand war ohnehin nur ein teilweiser, und laut Professor Isaiah Friedman enthielt der Briefwechsel zwischen McMahon und Hussein mehr Meinungsverschiedenheiten als Übereinstimmung. Jahre später schrieb Sir Henry McMahon in der Zeitung The Times: “Ich empfand es als meine Pflicht zu erklären, und das tue ich entschieden und mit Nachdruck, dass es nicht meine Absicht war, König Hussein das Versprechen zu geben, Palästina in jenes Gebiet einzubeziehen, für das die arabische Unabhängigkeit versprochen worden war. Ich hatte damals auch allen Grund zu glauben, dass die Tatsache, dass Palästina nicht in mein Versprechen einbezogen war, von König Hussein durchaus verstanden worden war.“ 1

„Um sicher zu gehen, dass der Große Krieg ‘der Krieg sein würde, der alle Kriege beendet‘, beriefen die Alliierten Siegermächte eine Friedenskonferenz in Paris ein, die Anfang 1919 begann.“

Das Sykes-Picot-Abkommen

Das andere Abkommen, bekannt als ‘Sykes-Picot-Abkommen‘, wurde im folgenden Jahr, 1916, geschlossen. Es war ein geheimes Memorandum zwischen Sir Mark Sykes und François Georges-Picot, die britische bzw. französische Diplomaten waren. Die Intention war, zu einer Einigung über die Kontrollsphären Großbritanniens und Frankreichs im besiegten Osmanischen Reich zu gelangen. In Wirklichkeit war es ein Plan Großbritanniens und Frankreichs, einen Großteil des osmanischen Territoriums zu kolonisieren. Palästina wäre nach diesem Plan, der vom damaligen britischen Außenminister Edward Grey gegengezeichnet wurde, unter internationaler Kontrolle gewesen. In dem Abkommen, das keinerlei Rechtsgültigkeit besaß, fehlte jegliche Erwähnung einer wiederhergestellten Jüdischen Heimstätte, obwohl das zionistische Bestreben beiden Regierungen bestens bekannt war. Aus diesem Grund propagieren die Gegner des Rechts auf Selbstbestimmung des jüdischen Volkes in ihrem Verheißenen Land gerne diese ‘Abkommen‘ von 1915 und 1916 in ihrem Versuch, die Balfour-Deklaration zu diskreditieren.

Ende 1916 traten Premierminister Asquith und Außenminister Grey zurück und wurden durch David Lloyd George bzw. Arthur James Balfour ersetzt. Sie gaben den Sykes-Picot-Plan auf, wenn auch die Karten, die Sykes und Picot erstellt hatten, später bei der Festlegung der Grenzen eine wichtige Rolle spielten.

Weizmann und Feisal. Mit Genehmigung des Zionistischen Zentralarchivs.

Das Feisal-Weizmann-Abkommen

Die Pariser Friedenskonferenz begann am 18. Januar 1919. Das Abkommen, das Chaim Weizmann und Emir Feisal am 3. Januar in London unterzeichneten, war entscheidend für das, was in Paris vorgelegt und später in San Remo im folgenden Jahr beschlossen wurde, auch wenn Feisal und andere arabische Führer es später nicht einhielten. Die Präambel des Abkommens bestätigte “die Völkerverwandtschaft und die historischen Bande, die zwischen den Arabern und dem jüdischen Volk bestehen, in dem Bewusstsein, dass das sicherste Mittel zur Erfüllung ihrer natürlichen Bestrebungen die engstmögliche Zusammenarbeit ist …”.

 

Artikel 3 der Vereinbarung legte fest: “Bei der Ausarbeitung der Verfassung Palästinas sind alle Maßnahmen zu ergreifen, die die größtmöglichen Garantien für die Umsetzung der Erklärung der britischen Regierung vom 2. November 1917 gewährleisten.“  (Die Balfour-Deklaration)

Artikel 4 begann mit einer Feststellung: “Es sind alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Einwanderung von Juden nach Palästina in großem Umfang zu fördern und anzuregen und so schnell wie möglich jüdische Einwanderer im Land anzusiedeln …”. Feisal fügte dem Abkommen handschriftlich in arabischer Sprache einen Vorbehalt hinzu: “Unter der Voraussetzung, dass die Araber ihre Unabhängigkeit erlangen, anderenfalls werde ich mich nicht an ein einziges Wort dieses Abkommens gebunden fühlen.”

Die Pariser Friedenskonferenz

Am 6. Februar 1919 präsentierte auf der Pariser Friedenskonferenz die arabische Delegation unter der Leitung von Emir Feisal den Hauptmächten der Alliierten ihre Forderungen. Bei der Präsentation der territorialen Ansprüche für die unabhängigen arabischen Staaten ließ er Palästina aus, indem er sagte: “Palästina, wegen seines universellen Charakters, will er für gemeinsame Abwägungen durch alle interessierten Parteien beiseite lassen.” Zu diesem Zeitpunkt hielt sich Feisal also an die Vereinbarung, die er mit Weizmann getroffen hatte.

Drei Wochen später, am 27. Februar, präsentierten Chaim Weizmann und die Zionist Organization ihren Rechtsanspruch auf die Wiederherstellung ihres alten Heimatlandes. Ihre territoriale Forderung umfasste das gesamte Gebiet westlich des Jordan-Flusses sowie einen Landstreifen östlich des Flusses, in dem die ‘zweieinhalb Stämme‘ Israels historisch gelebt hatten. Die östliche Grenze des jüdischen Heimatlandes, so Weizmann, würde unmittelbar westlich der Hejaz-Eisenbahn liegen, die von Damaskus über Amman bis hinunter nach Medina in Saudi-Arabien führt.

Die Pariser Friedenskonferenz von 1919 erstreckte sich über ein ganzes Jahr. Eine Reihe von Verträgen wurde unterzeichnet, darunter auch die zuvor erwähnten. Als Teil des Vertrags von Versailles musste Deutschland auf seinen Anspruch auf das gesamte eroberte Gebiet sowie auf alle seine Kolonien außerhalb Europas verzichten. Der Vertrag dezimierte auch Deutschlands militärische Macht und verpflichtete es zur Zahlung von Straf-Kriegsreparationen. Viele waren der Meinung, und vor allem die Deutschen selbst, dass die Bedingungen, die Deutschland auferlegt wurden, ungerecht waren. Viele glaubten auch, dass dies ein Faktor für den Aufstieg der Nazis war, der zum Zweiten Weltkrieg führte.

“Weizmanns territoriale Forderung im Namen des jüdischen Volkes umfasste das gesamte Gebiet westlich des Jordan-Flusses, sowie einen Landstreifen östlich des Flusses, in dem die ‘zweieinhalb Stämme‘ Israels historisch gelebt hatten.”


Der Vertrag von S
èvres – Die Zerstückelung des Osmanischen Reiches

Der Vertrag von Sèvres löste das Osmanische Reich auf und verlangte von ihm die Abtretung des Eigentums an allen Gebieten außerhalb der Türkei selbst. Den Hauptmächten der Alliierten war die völkermörderische Politik der osmanischen Türken gegenüber den in ihrem Reich lebenden ethnischen und religiösen Minderheiten bestens bekannt. Während des Ersten Weltkriegs hatten die Türken weit über eine Million Armenier, syrische Kopten und maronitische Christen massakriert und vor Ausbruch des Krieges 11.000 Juden vertrieben. Sie erkannten, dass die Zerstückelung des Osmanischen Reiches für die Sicherheit seiner Bevölkerung unerlässlich war.

Die Türken weigerten sich danach, den Vertrag von Sèvres zu ratifizieren, und später, 1923, wurde er durch den Vertrag von Lausanne ersetzt. Die Hauptmächte der Alliierten vertagten die Verhandlungen über die Territorien des ehemaligen Osmanischen Reiches auf eine Sonderkonferenz, die im April 1920 in San Remo, Italien, stattfand.

 

Mehr dazu sehen Sie in Episode 4 des Videos ‘Whose Land?’

Dies ist der zweite Artikel einer Serie von sechs Artikeln aus Prophecy Today UK, in deren Mittelpunkt die San Remo-Resolution steht, und wird mit Genehmigung des Autors veröffentlicht.
>>Überblick über diese Serie

 

Die arabische Delegation präsentiert ihre Forderungen bei der Pariser Friedenskonferenz am 6. Februar 1919| © Imperial War Museum (Art.IWM ART 2855)


Quellen

1 Interview mit Dr. Denis MacEoin in “Whose Land?”

(Übersetzung: Daniela Schmauz und Hans Weissenböck)

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