San Remo 100

Die San Remo-Konferenz vom April 1920 – 100 Jahre San Remo (Teil 3)

Hugh Kitson - 8. September 2020

Die San Remo-Konferenz begann am 18. April 1920 in der Villa Devachan in San Remo an der italienischen Riviera. Wie bereits erwähnt, war die San Remo-Konferenz eine Ergänzung zur Pariser Friedenskonferenz von 1919, die sich speziell mit der Aufteilung des besiegten Osmanischen Reiches befasste.

Delegierte bei der Konferenz von San Remo in Italien, am 25. April 1920. | Bildnachweis: Wikimedia Commons

 

Die rechtliche und geistliche Bedeutung von San Remo

Diese wenig bekannte Konferenz hatte weitreichende Folgen für alle Völker des Nahen Ostens und nicht zuletzt für das jüdische Volk, das seit zwei Jahrtausenden über die ganze Welt verstreut war. Dennoch waren die diesbezüglichen Dokumente viele Jahrzehnte lang tief in den britischen Nationalarchiven vergraben, und mit ihnen auch ihre Bedeutung für die jüdische Nation.

Dr. Jacques Gauthier, ein Anwalt für internationale Menschenrechte, beschrieb diese Versammlung des Obersten Rates der Alliierten Hauptmächte in der Villa Devachan so: “Es war an diesem Ort, an dem Staatsmänner mit der Entscheidungsgewalt, verbindliche Beschlüsse in Bezug auf die osmanischen Gebiete zu fassen, berieten und Entscheidung trafen, nachdem sie 1919 während der Pariser Friedenskonferenz Ansprüche der Zionist Organization in Paris angehört hatten und nachdem sie von der arabischen Delegation gehört hatten, was sie in Bezug auf die osmanischen Gebiete wollte. Nach Anhörung dieser Eingaben versammelte sich eine Gruppe von ihnen hier und traf endgültige, völkerrechtlich verbindliche Entscheidungen darüber, wer was bekommen würde.” 1

Diese Tatsache hat nicht nur eine historische, sondern auch eine außergewöhnliche geistliche Bedeutung. In den hebräischen Schriften ist festgehalten, dass der Allmächtige Gott, den Christen und Juden anbeten, den Nachkommen Abrahams, Isaaks und Jakobs vor etwa viertausend Jahren die Eigentumsurkunde für das Land Israel als ewigen Besitz übergab. Was Gott in San Remo tat, war, diese Eigentumsurkunde im Völkerreicht der modernen Zeit zu verankern. Und der Herr tat dies in dem Wissen, dass hundert Jahre später die Rechtmäßigkeit der juristischen Fundamente des jüdischen Staates in seiner ursprünglichen Heimat ernsthaft in Frage gestellt werden würde.

Eine Verschwörung, San Remo zu torpedieren

Bereits 1920 gab es Widerstand gegen eine Jüdische Nationale Heimstätte in Palästina – sogar innerhalb des britischen Establishments. Nach der Einnahme Jerusalems durch General Sir Edmund Allenby im Dezember 1917 wurde eine britische Militärverwaltung eingesetzt, um das eroberte Gebiet zu regieren. Anstatt Verwaltungsbeamte aus England zu entsenden, wurden die meisten aus Kairo geholt.  Zu dieser Zeit herrschte das Britische Imperium über viele Muslime, und die britische Armee hatte dabei eine Schlüsselrolle inne. Viele der Militärangehörigen, die in Jerusalem eingetroffen waren, waren ideologisch gegen die Balfour-Deklaration und ihre Umsetzung eingestellt. Im April 1920 inspirierte eine Gruppe hochrangiger Offiziere unter General Bols, dem damaligen Militärgouverneur von Jerusalem, einen arabischen radikalen Islamisten, Haj Amin Al-Husseini (später zum Großmufti von Jerusalem ernannt), in der Altstadt ein Pogrom zu entfachen und schuf dafür günstige Voraussetzungen. Ihre Absicht war zu versuchen, das Ergebnis der Konferenz von San Remo zu torpedieren, indem sie zeigten, dass eine Jüdische Nationale Heimstätte in Palästina nicht realisierbar sei. Die britische Regierung reagierte darauf, indem sie die Militärverwaltung auflöste und Sir Herbert Samuel zum Hochkommissar ernannte. Das militärische Komplott hatte zwar keinen Erfolg, es schuf aber einen Präzedenzfall, der die restliche Zeit der britischen Verwaltung in Palästina belasten würde.

Bevor wir uns näher mit der Konferenz von San Remo befassen, müssen wir noch einmal zurückgehen und einen kurzen Blick auf zwei frühere politische Entscheidungen des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson werfen, die einen Einfluss auf die Geschehnisse in San Remo hatten.

Präsident Woodrow Wilsons Vision der Selbstbestimmung der Völker

Wenn vor dem Ersten Weltkrieg eine Nation oder ein Reich eine andere Nation oder ein anderes Reich eroberte, annektierte oder kolonisierte der Sieger im Allgemeinen das Territorium des besiegten Landes und unterwarf seine Bevölkerung. Es war ganz einfach das ‘Recht des Stärkeren‘.  Die Frühgeschichte Israels ist übersät mit solchen Beispielen. Ebenso die Geschichte Großbritanniens, im Guten wie im Schlechten. Das Sykes-Picot-Abkommen hätte dazu geführt, dass die meisten osmanischen Gebiete von Großbritannien und Frankreich annektiert und/oder kolonisiert worden wären, und auch Russland hätte ein Teil davon erhalten.

Es gab zwei politische Festlegungen, die von Präsident Woodrow Wilson als Bedingung für den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg auf Seiten der Alliierten gestellt wurden. Sein erster Grundsatz, bekannt als die ‘Vierzehn Punkte‘, wurde in einer Rede Anfang 1918 dargelegt. Er wollte, dass das Zeitalter des Imperialismus zu Ende geht und dass die Weltmächte nach Selbstbestimmung aller Völker streben sollten. Da er der Meinung war, dass auch das jüdische Volk das Recht auf Selbstbestimmung haben sollte, gab er grünes Licht für die Balfour-Deklaration. Die zweite politische Weichenstellung bestand darin, dass ein Völkerbund gebildet werden sollte, der die Unabhängigkeit aller Länder, egal wie groß oder klein, schützen und sicherstellen sollte, sodass ein Krieg wie der Erste Weltkrieg sich nie wieder ereignen würde.

„Der Allmächtige Gott gab den Nachkommen Abrahams, Isaaks und Jakobs vor etwa viertausend Jahren die Eigentumsurkunde für das Land Israel. In San Remo verankerte Gott diese Eigentumsurkunde im Völkerreicht der modernen Zeit.“

 

Die Satzung des Völkerbundes

Der Völkerbund wurde 1919 auf der Pariser Friedenskonferenz auf Veranlassung des Obersten Rates der Alliierten und Assoziierten Mächte gegründet. Artikel 20 der Satzung des Völkerbundes besagte, dass alle ‘geheimen Vereinbarungen‘ zwischen den Nationen – z.B. das Sykes-Picot-Abkommen – aufgehoben werden sollten. Artikel 22 befasste sich mit der Einrichtung einer Reihe von Mandaten für jene Völker, die während des Ersten Weltkriegs aus den Fesseln der Herrschaft einer imperialen Macht befreit wurden. Diesen Völkern (einschließlich der Araber im ehemaligen Osmanischen Reich) sollte bei der Erlangung der Selbstbestimmung geholfen werden, bis sie für die Selbstverwaltung und Unabhängigkeit bereit wären. Es wurden auch Mandate für eine Reihe ehemaliger Kolonien in Afrika und Lateinamerika eingerichtet. Die Mandate waren, für welches Gebiet auch immer, als eine heilige Aufgabe der Zivilisation‘* (‘sacred trust of civilisation’) zu betrachten. Der Völkerrechtler Professor Avi Bell sagt: “Ziel der ganzen Errichtung der Mandate war es, einen Weg zu schaffen, um die Selbstbestimmung der Völker zu garantieren. Es war tatsächlich das erste Mal, dass das Völkerrecht dieses Recht geschaffen und anerkannt hat.” 2

Die San Remo-Konferenz legt die Mandate im Nahen Osten fest

Die San Remo-Konferenz hatte zunächst drei Mandate zu behandeln: die Mandate für Syrien und für Mesopotamien hinsichtlich der arabischen Selbstbestimmung, sowie das für Palästina. Das Mandat für Palästina war insofern außergewöhnlich, da die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, für die die Selbstbestimmung vorgesehen war, zu diesem Zeitpunkt tatsächlich außerhalb Palästinas lebte – nämlich das jüdische Volk, das mehrheitlich fast 19 Jahrhunderte zuvor von den Römern von dort vertrieben worden war. Im Hinblick auf die Balfour-Deklaration von 1917 wurde im Protokoll der Konferenz festgehalten, dass “von den Alliierten Mächten anerkannt worden war, dass Palästina in Zukunft die Nationale Heimstätte der Juden der ganzen Welt sein sollte.” 3

Das Mandat für Palästina. Foto: ‘Whose Land’ Dokumentarfilm

 

Dr. Jacques Gauthier fasste die Entscheidungen auf diese Weise zusammen: “Das jüdische Volk wurde als Begünstigter des Mandats für Palästina – unter der Obhut der britischen Regierung – ausgewählt. Die arabischen Bewohner der Gebiete Mesopotamiens – des heutigen Irak –, Syriens und des Libanon, wurden jeweils als Begünstigte der Mandate für ihr entsprechendes Gebiet ausgewählt.“ 4

Das Gebiet der Jüdischen Nationalen Heimstätte

Der Oberste Rat der Alliierten Hauptmächte – bestehend aus Großbritannien, Frankreich, Italien (Vorsitz) und Japan, mit den USA als Beobachter – erörterte auch den territorialen Umfang der Jüdischen Nationalen Heimstätte. Leiter der britischen Delegation war Premierminister David Lloyd George, der von seiner baptistischen Erziehung und Bibelkenntnis geprägt war. Anhand von Karten, die von George Adam Smith erstellt worden waren, schlug er vor, dass die wiederhergestellte jüdische Heimstätte jenes Gebiet umfassen sollte, in dem das Volk Israel während der historischen Herrschaft von König David und König Salomo wohnte, ‘von Dan bis Be’er Scheva‘.

Unter Bezugnahme auf diese Tatsache erklärt die Völkerrechtsjuristin Dr. Cynthia Day Wallace: „Bei der Formulierung rechtsverbindlicher Dokumente wurden die kulturhistorischen Wurzeln des jüdischen Volkes in diesem Land anerkannt.“ 5 Selbstverständlich schloss diese Anerkennung das historische jüdische Kernland von Judäa und Samaria, das heute allgemein als ‘Westjordanland‘ (‘West Bank‘) bekannt ist, eindeutig mit ein – und dazu zählte auch die historische jüdische Hauptstadt Jerusalem. Somit war die Absicht des Obersten Rates klar.

Allerdings wurden in der abschließenden Resolution, in der die Balfour-Deklaration fast wortwörtlich übernommen wurde, die tatsächlichen Grenzen zwischen den verschiedenen Mandaten nicht endgültig festgelegt. Diese sollten von den Alliierten Hauptmächten beschlossen und dem Rat des Völkerbundes vorgelegt werden. Die San Remo-Resolution vom 25. April 1920, die den Status eines internationalen Vertrages hatte, erhielt die einstimmige Bestätigung aller Gründungsnationen des Völkerbundes.

 

Mehr dazu sehen Sie in Episode 5 des Videos ‘Whose Land?’

 

Dies ist der dritte Artikel einer Serie von sechs Artikeln aus Prophecy Today UK, in deren Mittelpunkt die San Remo-Resolution steht, und wird mit Genehmigung des Autors veröffentlicht.
>>Überblick über diese Serie

 

*Satzung des Völkerbundes: http://www.versailler-vertrag.de/vv1.htm   Die offizielle Übersetzung in Art. 22: Sacred Trust of Civilisation = Heilige Aufgabe der Zivilisation

 


Quellen:

1 Zitiert aus Interview-Ausschnitten in der Dokumentationsreihe “Whose Land?” – Part 1 ‘Foundations’.

2 Ebendort.

3 Hier können Sie das ganze Protokoll lesen (auf Englisch)

4 Zitiert aus Interview-Ausschnitten in der Dokumentationsreihe “Whose Land?” – Part 1 ‘Foundations’.

5 Zitiert aus Interview-Ausschnitten in der Dokumentationsreihe “Whose Land?” – Part 1 ‘Foundations’.

 

(Übersetzung: Daniela Schmauz und Hans Weissenböck)

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