San Remo 100

Verpflichtungen aus dem Mandat für Palästina – 100 Jahre San Remo (Teil 4)

Hugh Kitson - 8. September 2020

Die San Remo-Resolution vom 25. April 1920 übertrug Großbritannien die Verantwortung für die Ausführung des Mandats für Palästina und auch für Mesopotamien (heute Irak). Frankreich wurde die Verantwortung für das Mandat für Syrien, das später in Syrien und Libanon aufgeteilt werden sollte, zugewiesen. Die San Remo-Resolution wurde in der Folge von allen Gründungsmitgliedern des Völkerbundes einstimmig bestätigt.

 

‘Eine heilige Aufgabe der Zivilisation‘

Die Mandatarmächte hatten eine rechtsverbindliche Verpflichtung, die Bestimmungen ihres Mandats im Namen des Völkerbundes zu erfüllen. Im Artikel 22 der Satzungen des Völkerbundes werden die Mandate als ‘heilige Aufgabe der Zivilisation‘ (‘sacred trust of civilisation’) bezeichnet. Die Völkerrechtsjuristin Dr. Cynthia Day Wallace erklärt dies: “Ein ‘Sacred Trust of Civilisation’ bedeutet in diesem Fall, dass ein Land mit der Verwaltung einer Nation betraut wird, die noch nicht reif für die Selbstverwaltung ist. Es ist ‘eine heilige Aufgabe’, nicht nur für diese eine Nation, sondern eine heilige Aufgabe der gesamten Zivilisation – im Sinne von anvertraut im Interesse des Völkerbundes, und der ganzen Menschheit.“ 1

Wie bereits erwähnt, war das Mandat für Palästina insofern einzigartig, als der Begünstigte dieses Mandats das jüdische Volk war, das größtenteils außerhalb des Landes lebte. Es war nicht nur eine ‘heilige Aufgabe der Zivilisation‘, sondern es war auch ‘eine heilige Aufgabe‘, die Großbritannien vom Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs übertragen wurde, um das jüdische Volk in sein Verheißenes Land zurückzubringen, wie es in den hebräischen Schriften vorhergesagt ist. Viele Christen, die zu dieser Zeit in Großbritannien lebten, erkannten diese Wahrheit, wie auch viele Angehörige des jüdischen Volkes selbst: ‘Er gedenkt auf ewig an seinen Bund, an das Wort, das er ergehen ließ auf tausend Geschlechter hin; [an den Bund,] den er mit Abraham geschlossen, an seinen Eid, den er Isaak geschworen hat. Er stellte ihn auf für Jakob als Satzung, für Israel als ewigen Bund, als er sprach: “Dir gebe ich das Land Kanaan als das Los eures Erbteils.“‘ (Psalm 105:8-11) und “Denn ich will euch aus den Völkern herausholen und euch aus allen Ländern sammeln und wieder in euer Land bringen.“ (Hesekiel 36:24). Dies sind nur zwei von buchstäblich Dutzenden von Schriftstellen, die von Israels Besitz und der Wiederherstellung des damals als Palästina bekannten Gebietes sprechen – in der Bibel als ‘das Land Israel‘ bezeichnet.

„Das Mandat war nicht nur eine ‘heilige Aufgabe der Zivilisation‘, sondern es war auch ‘eine heilige Aufgabe‘, die Großbritannien vom Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs übertragen wurde, um das jüdische Volk in sein Verheißenes Land zurückzubringen, wie es in den hebräischen Schriften vorhergesagt ist.“


Kernelemente des Mandats

Wozu also verpflichtete das Mandat für Palästina Großbritannien als Mandatsträger? Zunächst einmal übernahm die Präambel des Mandats den Wortlaut der Balfour-Deklaration. Eine weitere Grundsatzklausel in der Präambel besagt: ‘in Erwägung, dass damit die historische Verbindung des jüdischen Volkes mit Palästina und die Grundlage für die Wiederherstellung seiner Nationalen Heimstätte in diesem Land anerkannt wurde.‘ 2 Das Wort ‘Wiederherstellung‘ ist hier entscheidend.  Das jüdische Volk erhält kein neues Recht, sondern ein bereits bestehendes Recht wird anerkannt, und das gilt für das gesamte Gebiet, das damals Palästina hieß. Später, 1921, wurde das Gebiet östlich des Jordans von der jüdischen Besiedlung ausgenommen.

Zweitens heißt es im Hauptteil des Mandatstextes im Artikel 2: “ist der Mandatsträger (Großbritannien) dafür verantwortlich, das Land in eine solche politische, administrative und wirtschaftliche Lage zu versetzen, die die Errichtung der Jüdischen Nationalen Heimstätte sicherstellt, wie in der Präambel festgelegt …“ 3

Artikel 4 beschreibt die Verpflichtung der Verwaltung, mit einer jüdischen Agentur (die Zionist Organization wird erwähnt) zusammenzuarbeiten, “in solchen wirtschaftlichen, sozialen und anderen Angelegenheiten, die sich auf die Errichtung der Jüdischen Nationalen Heimstätte und die Interessen der jüdischen Bevölkerung in Palästina auswirken können …”. 4 Nirgendwo im Vertragstext des Mandats für Palästina wurden die Araber konkret erwähnt. Was im Mandat für Palästina (das ein Rechtsdokument ist) und ebenso in der San Remo-Resolution und der ihr vorangehenden Balfour-Deklaration mehrfach zum Ausdruck gebracht wird, ist, dass “nichts getan werden sollte, was die Bürgerrechte und religiösen Rechte der bestehenden nichtjüdischen Bevölkerungsgruppen in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in einem anderen Land beeinträchtigen könnte.“ 5

Eine nachrangige Regelung

Rechtsexperte Dr. Gerald Adler versteht diese Formulierung so: “Wenn in einem Dokument ‘unbeschadet‘ ‘dieses, jenes oder des anderen‘ steht, ist es sehr deutlich, dass dies eine untergeordnete Regelung ist. Wenn man eine solche untergeordnete Bestimmung hat, dann ist klar, dass es eine Hauptbestimmung, ein Hauptziel, eine grundsätzliche Politik gibt, die in irgendeiner Weise eingeschränkt ist, es gibt aber keine Gleichheit zwischen den beiden Regelungen.“ 6

Nach den arabischen Massakern von 1929, bei denen 139 Juden ermordet wurden, war aus den Berichten der British Commission erkennbar, dass sie die politischen Rechte der Juden nicht mehr begünstigte, sondern, dass die arabischen politischen Interessen neben den jüdischen Interessen gefördert werden mussten.

Dr. Adler ist der Ansicht, dass ein solches Zugeständnis nicht mit den Bedingungen des Mandats vereinbar war: “Wenn wir die Formulierung betrachten ‘es soll nichts getan werden, was die Bürgerrechte und religiösen Rechte beeinträchtigen könnte’, so bezieht sich diese auf ‘die Bürgerrechte und religiösen Rechte’. Es heißt nicht ‘politische Rechte’.  Es heißt ‘Bürgerrechte und religiösen Rechte der bestehenden nichtjüdischen Bevölkerungsgruppen‘.“ Dr. Adler glaubt auch, dass diese untergeordnete Bestimmung zeitlich begrenzt war: “Der Begriff lautet ‘die Bürgerrechte und religiösen Rechte der bestehenden nichtjüdischen Bevölkerungsgruppen’. Die zukünftige Bevölkerung wird nicht erwähnt. Mit anderen Worten, wir sprechen von der bestehenden Bevölkerung ab 1922. Nun, die Tatsache, dass Großbritannien es versäumte, die arabische Migration nach 1922 zu regulieren, versetzt die Juden zweifellos in eine missliche Lage.“ 7

„Nach den arabischen Massakern von 1929, bei denen 139 Juden ermordet wurden, war aus den Berichten der British Commission erkennbar, dass sie die politischen Rechte der Juden nicht mehr begünstigte.“

Der wahre Zweck des Mandats

Artikel 6 des Mandats verpflichtet Großbritannien, “die jüdische Einwanderung unter angemessenen Bedingungen zu erleichtern und soll, in Zusammenarbeit mit der im Artikel 4 genannten Jewish Agency, die dichte Ansiedlung von Juden im Land fördern … “ 2

Der Anwalt für internationale Menschenrechte, Dr. Jacques Gauthier, fasst den Zweck des Mandats folgendermaßen zusammen: “Die ganze Idee des Mandats bestand darin, den Juden das Recht zur Einwanderung zu geben, damit die Bevölkerung wachsen könne, so dass sie, während des Bestehens der Aufgabe für die Mandatarmacht, stärker und zahlreicher würden und dann die Unabhängigkeit ihres Landes erklären könnten. Das war die eigentliche Strategie.“ 1

Der Großmufti lässt das Mandat scheitern

Wie im vorigen Artikel erwähnt, gab es ernsthaften Widerstand gegen jedwede jüdische Präsenz in Palästina, ganz zu schweigen von einer Jüdischen Nationalen Heimstätte. Die Briten ernannten Haj Amin Al-Husseini, einen radikalen Islamisten, der das erste Pogrom unter britischer Herrschaft (mit britischer Kooperation) verübt hatte, zum Großmufti von Jerusalem, mit der Überlegung sein Verhalten zu mäßigen. Es hatte den gegenteiligen Effekt, und tatsächlich torpedierte er die britische Umsetzung des Mandats. In den 1930er-Jahren war Palästina praktisch unregierbar geworden. Die Ständige Mandatskommission des Völkerbundes war mit der britischen Ausführung des Mandats alles andere als zufrieden.

Das Weißbuch (White Paper) von 1939

Inzwischen war Adolf Hitler in Deutschland an die Macht gekommen, und die europäischen Juden waren in Todesgefahr. Aus Angst davor, dass sich die Araber auf die Seite der Nazis stellen würden, was sie ohnehin taten, verstärkte die britische Regierung ihre Politik der Beschwichtigung (Appeasement). Das Endergebnis war das MacDonald-Weißbuch von 1939. Das Weißbuch schränkte die jüdische Einwanderung nach Palästina in den nächsten fünf Jahren drastisch auf 75.000 ein – zu einer Zeit, in der Millionen aus Europa fliehen mussten. Zudem müsste jede zukünftige Einwanderung von den Arabern genehmigt werden. Landverkäufe an Juden waren verboten, und darüber hinaus beschränkte die britische Regierungspolitik die jüdische Bevölkerung Palästinas auf ein Drittel der Gesamtbevölkerung, wodurch die Regierbarkeit der Jüdischen Nationalen Heimstätte durch das jüdische Volk unmöglich gemacht wurde.

Dr. Jacques Gauthier fällte über das Weißbuch von 1939 folgendes Urteil: “Als Großbritannien beschloss, das Weißbuch umzusetzen, verstieß es gegen die grundlegenden Verpflichtungen, die ihm durch das Mandat für Palästina auferlegt worden waren. Als Folge davon saßen hunderttausende jüdische Menschen, die aus Europa hätten fliehen können, die hätten überleben können, in Europa fest und enden in den Todeslagern.“ 1

Durch diesen Verstoß gegen die Bedingungen des Mandats – einer ‘heiligen Aufgabe der Zivilisation‘ – befleckte Großbritannien seine Hände mit dem Blut hunderttausender, wenn nicht gar Millionen jüdischer Menschen.Abgesehen vom ehemaligen britischen Außenminister Jeremy Hunt, der zugab, dass das Weißbuch von 1939 ein dunkler Fleck in der britischen Geschichte war, 4  hat sich die britische Regierung bisher geweigert, diese Tatsache mit einer formellen Entschuldigung beim jüdischen Volk und der israelischen Regierung einzugestehen. Großbritanniens umfassender Verstoß gegen die Bedingungen seines Mandats, bei der Errichtung der Nationalen Heimstätte für das jüdischen Volk zu helfen, hat noch weitere schwerwiegende Auswirkungen gehabt. Wir werden diese im nächsten Artikel untersuchen.

 

Mehr dazu sehen Sie in Episode 6 und 7 des Videos ‘Whose Land?’

Dies ist der vierte Artikel einer Serie von sechs Artikeln aus Prophecy Today UK, in deren Mittelpunkt die San Remo-Resolution steht, und wird mit Genehmigung des Autors veröffentlicht.
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Quellen

1 Zitiert aus einem Interview Ausschnitt in “Whose Land?“ produziert von Hugh Kitson und präsentiert von Oberst Richard Kemp.
2 Zitiert aus dem Text des Vertragsdokuments “Mandat für Palästina“ (24. Juli 1922)
3 Ebendort
4 Ebendort
5 Ebendort
6 Zitiert aus einem Interview mit Dr. Gerald Adler in “The Forsaken Promise“ produziert von Hugh Kitson für Hatikva Film Trust
7 Ebendort
8 Zitiert aus dem Text des Vertragsdokuments “Mandat für Palästina“ (24. Juli 1922)
9 Zitiert aus einem Interview Ausschnitt in “Whose Land?“ produziert von Hugh Kitson und präsentiert von Oberst Richard Kemp.
10 Zitiert aus einem Interview Ausschnitt in “Whose Land?“ produziert von Hugh Kitson und präsentiert von Oberst Richard Kemp.
11Der damalige Außenminister, Jeremy Hunt, machte dieses Eingeständnis am 23. Januar 2019 bei einer Veranstaltung zum Holocaust-edenktag im Außenministerium. Er wiederholte es einige Tage später bei einem Mittagessen der Conservative Friends of Israel.


(Übersetzung: Hans Weissenböck)

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